Felix Ruckert: SM und Liebe – eine frohe Botschaft

Auszug aus “7 Tugenden zur Wiederverzauberung der Welt” (unveröffentlicht) /  Juni 2014

Kapitel 1: Ein Spiel bei dem alle gewinnen.

Sklave: Nimm mich!

Herrin: Nein, ich geb’s Dir.

SM ist keinesfalls eine Sonderform von Sexualität. SM ist Sexualität in reinster Form. SM variert das Thema Durchdringung als grundlegendes Prinzip von Sexualität: den Moment der Verschmelzung, der Auflösung der gegensätzlichen Prinzipien von Penetration und Öffnung, von Geben und Nehmen.

Alles Leben basiert auf einem dynamischen Prinzip von Kompression und Expansion, dem Pulsieren von Zellen, dem Rythmus von Ein- und Ausatmung, dem Einsaugen und Ausscheiden. Transformation von Materie. Naheliegend daß auch der sexuelle Akt auf einem Prinzip von Durchdringung und Weitung beruht.

Unabhängig von den primären Geschlechtsmerkmalen der Beteiligten illustriert SM diese gegensätzlichen Prinzipien: SM zelebriert die Tatsache, daß Sex ein geglücktes Zusammenspiel von von Kompression und Expansion ist. Daß Verdichtung und Ausdehnung, und in gewisser Weise auch Zerstörung und Heilung geschehen muss. Damit Erregung passiert. Damit es klappt mit Versteifung und Verflüssigung. Beim gelungenen SM – Akt gibt es zwar eine klare Rollenverteilung, trotzdem aber – oder gerade eben deswegen – auch nur Gewinner: alle Beteiligten sind zufrieden, Geben und Nehmen gleichen sich aus, lösen sich ineinander auf.

Beim konventionellen Sex nun sind die Rollen nicht so eindeutig festgelegt. Zwar gibt es in den meisten sexuellen Situationen eine gewisse Aufgabenverteilung, ist einer der Partner mehr aktiv oder mehr passiv, lässt sich stimulieren oder dient der Stimulation des Anderen, gibt sich hin oder nimmt das Angebotene an. Konvention und Höflichkeit heutiger sogenannter aufgeklärter – um nicht zu sagen demokratischer – Sexualität verlangen aber daß man sich abwechselt, das man Machtverhältnisse oder “Unausgeglichenheit” vermeidet. Mann und Frau vergnügen sich also mal oben, mal unten. scheuen sich aber allzuviele Entscheidungen zu treffen. Darüberhinaus wird die Hoffnung gehegt daß sich schon alles irgendwie von selbst finden wird beim Sex, die direkte Kommunikation von Wünschen findet eher selten statt. Im Grossen und Ganzen wird improvisiert statt komponiert.

Frage an Woody Allen: Ist Sex eine schmutzige Sache?

Antwort: Wenn man es richtig macht, ja!

Beim SM – Spiel also werden die Rollen bewusst verhandelt. Macht wird abgegeben und angenommen. Macht wird getauscht. Dies ist die tiefere Bedeutung des Spiels mit Dominanz und Unterwerfung: Der Dominante nimmt im Geben, der Submissive gibt im Nehmen. Grundlage ist daß es zur sexuellen Erregung eines (hin)gebenden Prinzips bedarfs, daß zugleich (an)nimmt: sei es Penetration, Kompression, Eroberung, Umschlingung, Beherrschung, Verletzung oder Zerstörung. Egal ob dies geschieht durch Finger, Schwanz oder Dildo; Reibung, Schlag oder Befehl; Seil oder Kette, Rohrstock oder Nadel. Und daß es dazu eine Ergänzung braucht: eine an-nehmende Hin-gabe: Dehnung, Weitung, Zulassen und Einlassen, Anpassung und Transformation, Leiden und Heilung. Mit Körper-Öffnungen, Gleitfähigkeit, Gehorsam, Spur oder Wunde.

Ohne diese Pole kein Sex.

Für diese Art essentieller Sexualität erübrigen sich zugleich die üblichen Zuweisungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Weder Machos noch Bimbos lassen sich länger ernstnehmen, SM macht beides möglich: sich von Geschlechterkonstruktionen zu verabschieden oder aber lustvoll damit zu spielen. Anders ausgedrückt: Es braucht keine Männer und Frauen mehr, nur noch solche die ficken und solche die sich ficken lassen.

 

 Kapitel 2: Permanenter Orgasmus durch radikales Switchen.

 Wie schon angedeutet: Es lohnt sich also auf beiden Seiten zu spielen. Und gewissermassen geht es garnicht anders.

Im täglichen Leben wechseln wir ständig ohne zu Zögern von dominantem zu submissivem Verhalten, sind wir devot gegenüber Vermietern, Arbeitgebern, Polizisten, begehrten Partnern, den Eltern. Und sind wir dominant gegenüber Kellnern, Verkäufern, Untergebenen, eigenen und fremden Kindern, unerwünschten Internetkontakten und anderen unerfreulichen Mitmenschen…

Das heisst im normalen Leben sind alle Menschen “Switcher”

(BDSM Fachausdruck für Leute die auf beiden Seiten spielen),

wir verhandeln permanent Machtverhältnisse und beherrschen Kapitulation wie Übernahme in Sekundenschnelle. Man denke nur an den Telefonanruf von Mama, der den Chef mitten in der Aufsichtsratssitzung überrascht.

Dominantes oder submissives Verhalten hängt im Alltag von realen Machtverhältnissen ab wie Vermögen, Attraktivität, Status, oder aber auch von Zielen die wir verfolgen. Je nach Situation kann es die bessere Strategie sein mal dominant, mal devot zu agieren. Man nennt es auch soziale Kompatibilität. Ethik. Güte finde ich auch schön. Switchen gehört einfach zu einer demokratischen Grundeinstellung. Denn es wäre ein Sprung zurück ins Mittelalter bzw. den Faschismus zu behaupten es gäbe von Natur aus unterwürfige Menschen wie z.B. Leibeigene, Juden oder Farbige bzw. zum Herrschen bestimmte wie Adlige, Arier oder Weiße…

Ich bestreite vehement die Existenz von so was wie “natürlicher” Dominanz oder Submissivität, auch wenn offenbar die meisten Individuen sich von einer dieser beiden Rollen leichter erregen lassen. Ich behaupte daß diese sexuelle Neigung vor allem Gewohnheit ist, Konstruktion und Teil sexueller Konditionierung. Niemand “lebt” SM, es sei denn er heißt Idi Amin. Es ist ein Spiel. Wir spielen mit dominanten und submissiven Rollen aus Gründen des sexuellen Lustgewinns.

Jeder bekennende SM’ler war ja meist auch erstmal ein unzufriedener Vanilla. Irgendwann beginnt er also mit SM, denn das Übergriffige und Unterwürfige, das Unberechenbare und Gefährliche, das Unausweichliche und Intolerante machen ihn geil. Dann richtet er sich aber oft erstaunlich schnell in einer dominanten bzw. submissiven Rolle ein – und wundert sich wenn seine neue aufregende Sexualität nach einer kleinen Weile schon wieder zu Routine wird.

Immerhin hat er aber schon mal den Glauben an klare Verhältnisse, an eindeutig “natürliche” Veranlagungen hinter sich gelassen. Denn inzwischen switcht er immerhin mühelos vom Alltags- Ich zum SM- Ich: Denn auch der fieseste Dominus wird problemlos zum liebevollen Enkel an Oma’s neunzigstem Geburtstag.

Weiter gedacht stellt sich die Frage: Brauchen wir das alles eigentlich?. Ich bin der Ansicht daß unser gesamtes sogenanntes Ich ( egal wieviel Prozent Mann-Frau, dominant-devot, hetero-homo, mono-poly, was auch immer…) reine Einbildung ist. Eine Überlebens-strategie. Eine Selbstversicherung die wir aus Angst vor der magischen Dimension der Dinge entwickelt haben und die uns letztlich davon abhält, jederzeit das jeweils passende Spiel zu spielen, das passende Leben zu leben und so im permanenten Orgasmus zu verweilen.

 

 Kapitel 3: Liebe im Überfluss.

“Permanenter Orgasmus” ist natürlich ein hoher Anspruch. Eine Nummer kleiner würde ich es Präsenz nennen: Bei sich selbst zu sein und zugleich beim anderen. Das kann man als spirituelles Klischee denunzieren, was aber nicht wirklich ein Argument darstellt, da jeder Mensch dieses Gefühl des “Magischen” doch kennt. Zumindest ab und zu. Hoffe ich jedenfalls für euch, sonst wäre es wirklich schlimm.

In meinem Erleben ist das SM Spiel eine bedeutende Erweiterung von Beziehungsmöglichkeiten, da es eben nicht krampfhaft nach Authentizität verlangt, sondern Projektionen sinnvoll nutzt. Schubladen wie dominant, devot, sadistisch und masochistisch sind dabei nichts anderes als Wünsche an die Wirklichkeit. Es erscheint mir vielmehr sinnvoll diese Begriffe nicht als Eigenschaften zu betrachten sondern als das was sie sind: Verhalten. SM erlaubt es mit diesen Bildern zu spielen, der Spieler kann bewusst Situationen inszenieren in denen unterschiediche Facetten der Persönlichkeit zum Klingen kommen. Dies empfinde ich als Möglichkeit um etwas über sich selbst zu erfahren und so zu ehrlicheren Beziehungen zu gelangen. Also letztlich doch zu grösserer Authentizität und damit Beziehungsfähigkeit. Obwohl ich jetzt keine Statistiken vorlegen kann, behaupte ich daß daher SM Beziehungen oft dauerhafter angelegt sind als klassische Liebsbeziehungen.

Jede Zementierung von Liebesverhältnissen in Form von Ehe, Treueversprechen oder auch Sklavenverträgen ist eine Absicherung die ein Paar installiert um eine Beziehung zu schützen. Leider haben diese Kontrollinstrumente aber oft den gegenteiligen Effekt. Die Beziehungspartner versuchen zwar Situationen zu verhindern in denen sie unkontrolliert unangenehmen Gefühlen ausgesetzt sind – wie Wut, Angst, Schmerz, Trauer, Schuld. Sie vergessen aber dabei das Gefühle jeder Art die lebendige Essenz einer Beziehung sind. Beim SM sind es nun genau die sogenannten negativen Gefühle, die wir als geil entdecken und bewusst suchen können. Eine Beziehung die ohne Kontrollinstrumente auszukommen versucht, die also auf Versprechen und Regeln verzichtet ist sicherlich wesentlich schwieriger zu führen, zeugt aber für mich letztlich von grösserer Beziehungsfähigkeit, da sie die Partner wahrhaftiger sein lässt in ihrer Wandelbarkeit.

 

Kapitel 4: Was sich liebt das neckt sich.

Aus der Paartherapie hört man daß man immer den Partner attraktiv findet, der die eigenen unterdrückten oder ungeliebten Anteile verkörpert, damit das was man an sich selbst nicht mag oder akzeptiert, zumindest im Aussen geliebt werden kann – immer auf der Suche nach der eigenen Ganzheit. Das heisst der Sadist bewundert die Schmerzresistenz des Masochisten, der Sklave begeistert sich an der Gemeinheit seines Herrn. Auf beiden Seiten geht es um Kontrollverlust. Erst wenn der Sklave anfängt zu schreien, macht es dem Herrn richtig Spass. Erst wenn der Herr über seinen Schrei hinweggeht, kriegt der Sklave seinen Kick. Wir spielen mit den eigenen Ängsten, die aber zugleich auch unsere Sehnsüchte sind. Nur weil er selbst vielleicht zu feige ist, schlägt der Sadist die Geliebte und liebt zugleich die Geschlagene. Er liebt und schlägt zugleich sich selbst. Insofern die Überwindung eines Widerspruchs und somit die Auflösung eines inneren Konflikts im Äusseren.

Da wir oft von einem bestimmten psychologischen Grundmuster geprägt sind, suchen wir uns die dazu passenden Partner und sind damit auch erstmal glücklich. Schnell verstehen wir aber daß die wichtigsten Instrumente des Spiels auf beiden Seiten die gleichen sind: Vertrauen, Hingabe, Entschlossenheit, Mut. Geben und Nehmen. Im gelungenen Spiel switchen wir ständig zwischen diesen Haltungen, egal auf welcher Seite der Peitsche wir uns befinden.

Sobald das Grundmuster bedient ist, also ein Anteil gelöst wird, kommen andere Anteile ins Spiel und damit müssen neue Spiele her – oder neue Partner! Weitere Suche nach dem Wilden und Gefährlichen. Neue Seiten wollen entdeckt, neue Territorien erobert werden. Deswegen wechseln wir Partner, experimentieren wir mit neuen Spielen und neuen Orientierungen.   Nacheinander oder zeitgleich. Gewissheiten lösen sich auf. Plötzlich spielen wir ganz ungeniert auf beiden Seiten und ganz neue Möglichkeiten tun sich auf, meist ausgelöst durch neue Mitspieler: Service-Top, Kampfsub, Topping from the Bottom, Bottoming from the Top. Wir switchen weiter und weiter und erlernen immer neue Rollen, die wir in immer neuen Situationen vertiefen und verfeinern. Es gibt kein zurück.

Inzwischen bin ich der Auffassung das es keinen “passenden” Partner gibt, sondern nur das “passende” Spiele. Daß jede Person wie im alltäglichen Leben auch im SM mit vielen Rollen vertraut sein könnte, und es letztlich nur vom Moment, vom Partner und meinen Zielen abhängen sollte, welche Haltung ich jeweils einnehme und wie ich handle.

 

Kapitel 5: Loblied des Verliebtseins

 Verliebtsein ist eine feine Sache.

Zwei Menschen erfüllen sich für einen kurzen Augenblick die Illusion der perfekten gegenseitigen Ergänzung. Und alles wäre auch perfekt, könnten wir nichts anderes sein als diese Ergänzung. Und dabeibleiben. Das Sich Verlieben ist aber nicht der Anfang, sondern meines Erachtens der Höhepunkt einer Beziehung. Das Ergebnis einer persönlichen Weiterentwicklung. Ein lang vorbereiteter Moment des Erkennens der eigenen Unzulänglichkeit. Ein Moment der Wahrheit, der ehrlichen Hingabe an das Verlorensein. Ein Augenblick des Übergangs ein manchmal einseitiges aber glücklicherweise oft gegenseitiges Sich-Offenbaren, das so unerträglich leicht und doch schwer zugleich ist, dass es Angst macht und selige Verwirrung erzeugt. Weswegen dieses Wunder fast augenblicklich überprüft werden muss. Dafür steht leider aber nur unser ängstliches Ich zur Verfügung, das ungläubige Ding. Wir glauben nicht, dass wir uns plötzlich nicht mehr verstellen sollen. Wir geraten in einen Wiederholungszwang, der nicht anerkennen will, dass diese Ergänzung nie wieder so stattfinden kann wie beim ersten Mal. Denn was zu ergänzen war, ist jetzt ganz und bedarf keiner weiteren Bemühungen. Das ist das Problem beim Verliebtsein: Die Musik ist so schön dass man diesen Zustand des Hörens (und Gehörens) beibehalten möchte, auch wenn der Gesang längst verklungen ist. Wir scheuen die Stille.

Zwei Strategien bieten sich nun an: Distanz und Nähe. Also einerseits das Zelebrieren der langsamen Desillusionierung durch Verzögern, Pausieren, verspieltes Verstecken. Die rationale Strategie, die im Grunde die Unmöglichkeit des Sich-Vergessens akzeptiert hat und intelligent mit den vielfältigen Gesichtern des Ichs jongliert. Hausmusik. Noten lernen.

Oder die zweite Möglichkeit, die romantische Strategie. Die Ausgestaltung der sich ergänzenden Rollen zu einer Beziehungsoper. Die Plattenaufnahme. Dominanz- und Unterwerfungs- Szenarien bieten dafür ein wunderbares Modell, basieren sie es doch auf einem Regelwerk aus Befehl und Gehorsam, das sich hervorragend eignet die ungeliebten, zweifelnden, rückwärts schauenden Persönlichkeitsanteile mit Hilfe und Unterstützung des Partners auszublenden.

Dabei ist es längst zu spät. Das Wesentliche ist schon vorbei. Hätten wir es nicht einfach dabei belassen können?

 

Kapitel 6: Negativen Gefühlen Raum geben

Ich möchte zuerst einmal eine zugegebenermaßen grobe Skala mit Abstufungen von Liebe und Hass formulieren:

Positive Gefühle / Intensität von 1-10:

Beachtung, Interesse, Anerkennung, Wertschätzung, Zustimmung, Respekt, Erhöhung, Verehrung, Hochachtung, Liebe.

Negative Gefühle / Intensität von 0-10:

Nichtbeachtung, Desinteresse, Abneigung, Ablehnung, Respektlosigkeit, Geringschätzung, , Demütigung, Erniedrigung, Verachtung, Hass.

All diese Gefühle – auch die negativen – sind in Liebesbeziehungen mehr oder weniger offen präsent. Und da ich glaube daß Konflikt und sexuelles Begehren zusammengehören sind gerade die negativen Empfindungen ein notwendiger Teil. Normalerweise wird dies aber oft erst deutlich, wenn die Beziehung vorbei ist. Oder sie ist vorbei, wenn dies deutlich wird.

Dann doch lieber vorbeugend damit spielen, um diesen Anteilen Raum zu geben.

Wie weit kann ich aber gehen in einem bewussten, einvernehmlichen Spiel? Ist das Spiel mit Ablehnung, Erniedrigung und Verachtung vielleicht sogar die Hohe Schule von Beziehung, wie manche behaupten?

Klar ist: Es kann nur gut gehen, wenn es beide geil macht. Merksatz: Nur wenn es Lust verschafft ist es auch SM. Bitte nicht vergessen!

Erniedrigung und Verachtung gehen ans Eingemachte, da ich mir, wenn ich überhaupt eine Beziehung eingehe vor allem Anerkennung, Wertschätzung und Respekt, manchmal sogar Liebe erhoffe. Dies gilt natürlich auch für jede SM-Session.

Das Schöne an SM ist ja nun mal daß Unangenehmes erotisiert werden kann. Man nennt dies auch das SM Paradox: Daß nicht nur Schmerz oder Angst den Kick verschaffen kann, sondern für manche Spieler auch Nichtbeachtung, Abneigung, Geringschätzung, Ablehnung, Demütigung, Erniedrigung, Verachtung, ja vielleicht sogar Hass die gewünschte Erregung erzeugt. Wenn es Lust macht, sei es sexuell oder systemisch, kann all dies Teil eines Spiels sein.

Wo liegt das Risiko, wo der Gewinn?

Wenn ich auf der dominanten Seite mit Verachtung spiele, bringe ich mich auch selbst in Gefahr: durch das Zulassen größter Rücksichtslosigkeit, Bosheit und Brutalität. In dem ich die dunkelste Seite ans Licht zu bringen in dem ich das Schwein bin, mache ich mich äußerst angreifbar. Wenn aber auch das noch akzeptiert wird, kann das sehr berührend sein. Weil es in gewisser Weise die allumfassende Anerkennung bedeutet.

Wenn ich auf der submissiven Seite mit Verachtung spiele, riskiere ich vor allem wirkliche Verletzung, Entwertung und Alleingelassensein. Ich habe aber auch die Chance mal von jedem Bedürfnis nach Anerkennung und Beachtung Abstand zu nehmen, es einfach nicht zu brauchen. Frei zu sein. Unabhängig von Bewertungen.

 

Kapitel 7: Kann SM die Welt retten?

Möglicherweise. Daß aus einvernehmlichem Missbrauch, geplanter Aggression und bewußter Zerstörung plötzlich Lustgewinn, Ermächtigung und sogar Heilung entstehen kann ist ein wahres Wunder.

SM ist nicht nur nicht Gewalt, es ist sogar ein Weg heraus aus Gewalt.

Ist SM nicht unmöglich ohne Eigenverantwortung, Gewissen, soziale Kompetenzen und emotionale Intelligenz? Trainiert es nicht Qualitäten wie Direktheit, Entschlossenheit, Aufrichtigkeit und Mitgefühl? Vertrauen, Hingabe, Demut und Tapferkeit? Ist daher SM nicht eine der höchsten zivilisatorischen Errungenschaften? Eine kulturelle Leistung, deren Erforschung propagiert und deren Ausübung staatlich gefördert werden sollte?

Bietet SM nicht die Möglichkeit Fantasien von Allmacht, Gewalt, Bestrafung und Kontrolle, oder aber von Ohnmacht, Aufopferung, Erlösung und Kontrollverlust gefahrlos auszuleben? Können wir bein SM Spiel nicht endlich einmal Tyrann sein und Opfer? Oder Richter, Henker, Betrüger und Schurke? Angsthase und Jammerlappen? Held und Märtyrer? Ja, wir dürfen scham- und hemmungslos sein. SM erlaubt eine Erforschung und Verkörperlichung gewalttätiger Persönlichkeits-anteile, eine Auseinandersetzung mit neurotischen, hysterischen und psychopathischen Mustern. Hält SM somit nicht auch Strategien zur Konfliktlösung und -vermeidung bereit?

Ist die öffentliche Akzeptanz von SM – wie eine weitgehende Befreiung der Frau und die Emanzipation schwul/lesbischer Sexualität – nicht ein Merkmal fortschrittlicher und friedlicher Zivilisationen?

Ist SM, als gelungenes Zusammenspiel von Intelligenz, Intuition, Wissen, Erfahrung, Gefühl und Leidenschaft nicht ein kreativer Akt von machtvoller Lust, Schönheit, Erkenntnis und Erneuerung? Eine Sublimation gefährlicher Impulse? Vielleicht nur vergleichbar mit großer Kunst?