Raum und Zeit werden neu gestaltet (Interview, 2007)

“United Kingdom”/ schwelle7/ 2008

Der Choreograph Felix Ruckert über die Verbindung von Tanz und BDSM. Fragen von Klaus Kieser und Stina Pollmann

Felix Ruckert gehört zu den umstrittensten jüngeren deutschen Choreographen. Denn seine Stücke sprengen regelmäßig Publikumserwartungen, experimentieren häufig mit der Beziehung zwischen Zuschauern und Performern. 1959 geboren, absolvierte Ruckert seine Ausbildung an der Essener Folkwang-Hochschule sowie in Paris und New York. Bereits während seines Studiums begann er zu choreographieren und erhielt Preise bei Choreographiewettbewerben in Cagliari, Hannover und Paris. 1987/88 war er Mitglied von Neuer Tanz und tanzte anschließend in Frankreich, bevor er 1992 Mitglied des Tanztheaters Wuppertal wurde. Zwei Jahre später machte er sich als Choreograph selbständig. Mit Hautnah, dessen erste Fassung 1995 entstand, konnte er sich wegen des ungewöhnlichen Konzepts einen Namen machen: Das Stück besteht aus Soli, die den Zuschauern einzeln dargeboten werden. Schon früh thematisierte Ruckert in seinen Arbeiten Sexualität und stellte Aufführungskonventionen in Frage. Ring (1999), Secret Service (2002) oder United Kingdom (2006) sind interaktive Projekte, während etwa Messiah Game (2004) oder das soeben in Hamburg uraufgeführte Betwixt and Between – Tito in Indien (siehe S. 53f.) Choreographien für eine konventionelle Bühne sind. Im Frühjahr dieses Jahrs hat Ruckert in Berlin einen eigenen Performanceraum eröffnet: schwelle 7, annonciert als Ort für »Tanz, Yoga, BDSM« (BDSM ist ein Kunstkürzel für »Bondage und Disziplin, Dominanz und Submission, Sadismus und Masochismus«).

 

Was war der Grund für die Eröffnung von schwelle 7? Es gab mehrere Gründe. Ein wichtiger Auslöser war, daß mir in Berlin die Förderung durch den Senat gestrichen worden war. Das war frustrierend für mich. Ich will daher jetzt so weit wie möglich heraus aus den Förderstrukturen, von denen man als Choreograph so abhängig ist. Darum der Wunsch, es mit einer eigenen Produktionsstruktur zu versuchen. Es soll der Versuch sein, außerhalb des etablierten Fördersystems zu arbeiten. Zudem wollte ich einige meiner früheren Projekte wiederaufnehmen, die nicht für einen klassischen Theaterraum gemacht sind, wie Secret Service. In erster Linie möchte ich meine eigene Arbeit weiterentwickeln, aber auch einen Raum schaffen für ein innovatives Programm von Workshops und neuen Formen partizipativer Performance. Vor allem möchte ich hier eine künstlerische Arbeit machen, die Tanz mit Wissen auf Gebieten wie Sexualität, Philosophie oder auch Therapie verknüpft.

Wie kam es dazu, BDSM eine zentrale Rolle in Ihrem Konzept zu geben? BDSM ist ein weites Feld. Ich habe viele Ideen, Inspirationen aus BDSM gezogen, für den Tanz, für meine künstlerische Arbeit. Und ich brauchte einfach einen Ort, an dem man eine Verbindung zwischen BDSM und Tanz herstellen kann. Das können die SM-Klubs nicht leisten, wollen das auch nicht, weil es dort nicht um Recherche geht. Es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Klub, in dem SM gespielt wird, und einem Ort wie schwelle 7, an dem die Dynamik des SM-Spiels praktisch untersucht und reflektiert wird. So, wie es einen Unterschied gibt zwischen einem Klub, in dem einfach nur getanzt wird, und einem Tanzstudio, in dem Pliés geübt werden. Yoga kam dazu, weil es Parallelen zu BDSM hat. Es arbeitet mit körperlichen Grenzen, um positive Wirkungen zu erzielen. Wie BDSM trainiert es Geduld, Disziplin, Konzentration und Hingabe. Es übt die Unterscheidung zwischen positivem und schädigendem Schmerz. Yoga hat außerdem eine heilende, stabilisierende und harmonisierende Wirkung, die eine gute Basis schafft für das Experimentieren in körperlichen Grenzbereichen. Vor 25 Jahren, als ich Ballett studierte, galt Yoga noch als esoterischer Hokuspokus, jetzt ist es im Mainstream angekommen. Mit BDSM wird es nicht anders sein.

Wo sehen Sie die Verbindung zwischen Tanz und SM? Eine Parallele ist die Inszenierung. In beiden Praktiken wird Raum und Zeit neu gestaltet. Eine Situation wird geschaffen, die außerhalb der normalen Lebensrealität steht und in der die gewöhnlichen Verhaltenskodes nicht gelten, die üblichen Grenzen neu verhandelt werden. Das kann sehr befreiend und lehrreich sein. Eine andere Parallele ist das Spiel. Der Raum, der dem Instinkt, der Intuition, den Manifestationen des Unbewußten gelassen wird. Beide Praktiken trennen Verstand und Gefühl nicht voneinander, sondern suchen die Verbindung. Es geht um Präsenz, Fließen, Kommunikation. In beiden Formen wird viel mit sexueller Energie gearbeitet, der Tanz ist aber etwas feige, versucht immer, schön und sauber zu bleiben. SM spielt auch mit Identität und Sexualität: zwei Bereiche, die stark emotional besetzt sind. Wo der Tanz zurückschreckt, geht SM weiter. Die SM-Techniken sind ideal dafür geeignet, sich in einem sicheren Rahmen negativen Emotionen wie Angst, Schmerz, Trauer und Wut anzunähern. Die Körperlichkeit ist die Basis, aber im Gegensatz zur tänzerischen Recherche werden auch das Böse, das Unangenehme und das Sexuelle mit einbezogen.

Spiegelt sich in Ihren Stücken Ihre persönliche Beschäftigung mit SM wider? Gerade weil der Tanz das Sexuelle zwar benutzt, aber nicht direkt thematisiert, spielt dort das Unausgesprochene immer mit hinein: Es beeinflußt die Beziehungen zwischen den Tänzern, zwischen Tänzer und Choreograph, zwischen Tänzern und Publikum. Und genauso ist es mit den Machtverhältnissen zwischen den Beteiligten. Die vorhandenen Machtverhältnisse werden auf der Bühne nicht thematisiert, sie werden nicht kreativ genutzt, sie sind einfach nur Teil der Realität. Ich habe angefangen, diese beiden Phänomene, Sexualität und Macht, in meinen Produktionen zu untersuchen, bewußt damit zu arbeiten. Ich will mit Hautnah beginnen. Die erste Idee war, ein Solo für einen Tänzer zu kreieren, weil ich bis dahin meist mit Gruppen gearbeitet hatte. Ich fand die Situation mit dem Tänzer sehr inspirierend: Er tanzt für mich, ich versuche etwas aus ihm herauszuholen, er will etwas, ich will etwas, und es kommt dann etwas Drittes heraus. Erst im nachhinein erkannte ich, daß diese Arbeit mit dem Tänzer in gewisser Weise schon ein klassisches SM-Spiel war. Ich bringe den anderen an eine Grenze, damit etwas Neues entsteht. Dies ist mein Begriff von SM, der sehr weit gefaßt ist, wie auch mein Begriff von Sexualität sehr weit ist. Nach Hautnah kam Ring. In Ring sind die Tänzer explizit liebevoll zum Publikum, überschütten den Zuschauer mit einer Überdosis an Aufmerksamkeit, auf sehr konsequente und konstante Weise; man nimmt wahr, daß es sich um ein Artefakt handelt, trotzdem funktionieren die emotionalen Reflexe, der Zuschauer fühlt sich geliebt. Es ist also der Versuch, ein Machtspiel sicht- und fühlbar zu machen. Dieses Stück wurde oft etwas abfällig als therapeutische Kunst bezeichnet. Ich habe das nie so empfunden und halte Ring gerade wegen seines manipulativen Charakters für sehr konfrontativ. Niemand läßt sich durch ein paar Streicheleinheiten therapieren. Das brachte mich auf einen neuen Gedanken: Darf denn Kunst nicht therapeutisch sein, darf Therapie keine Kunst sein? Wo es doch offensichtlich ist, daß sich jeder Künstler auch selbst therapiert mit seiner Arbeit. Und was ist daran falsch? Warum dieser Widerstand gegen Kunst, die berührt? Würde es nicht gerade für den Tanz sinnvoll sein, sich mehr Wissen über die Zusammenhänge zwischen Psychologie, Persönlichkeitsstruktur und körperlichem Ausdruck anzueignen? Warum sollte ich mich als Tänzer nur mit meiner Anatomie beschäftigen? Sollte ich nicht auch meine Gefühlslandschaft erforschen?

Viele Ihrer Arbeiten entziehen sich einer eindeutigen Zuordnung. Steht dahinter ein ästhetisches Prinzip? Warum werden Schubladen geschaffen? Es hat damit zu tun, Ordnung zu halten, auch bei sich selbst. Strukturen vermitteln Sicherheit. Gerade wenn man künstlerisch arbeitet, kann man vieles gar nicht trennen. Das ist ein wichtiges Thema für mich geworden: Trennungen zu überbrücken. »Schwellen« zu schaffen. Nach Ring dachte ich, Therapie beschäftige sich ja eher mit dem Unangenehmen, mit dem, was man nicht so gern wahrnimmt. Man könnte es jetzt mal mit bösartiger Interaktion versuchen, also die Konfrontation, den Konflikt, die Herausforderung inszenieren. So entstand Secret Service. Die Tatsache, daß wir nicht nett zum Publikum waren, ihm – natürlich kontrolliert und in Maßen – Angst, Schmerz und andere negative Sensationen zufügten, kam überraschenderweise sehr positiv an. Vielleicht, weil die Aggression im Verhältnis zum anderen normalerweise – natürlich aus gutem Grund – eher unterdrückt wird. Hier gab es aber ein Ventil für den Wunsch nach Aggressivität, sowohl in passiver als auch in aktiver Hinsicht. Im Lauf der Vorbereitungen zu Secret Service begann ich mich mit SM zu beschäftigen. Ich wollte etwas über Schmerz lernen. Ich hatte bis dahin nur Klischees im Kopf gehabt, fand dann aber diese »Entdeckung des Bösen« als sehr bereichernd. Also ging ich in Klubs und habe zum Glück schnell Menschen kennengelernt, die SM mit Intelligenz und Empathie betreiben.

Was hat Sie bei Ihrer Recherche am nachhaltigsten beeindruckt? Sex soll ja schön sein, ekstatisch, berührend. Es gibt aber keine Schulen dafür, und deswegen wird einfach im Privaten damit improvisiert und experimentiert, das Ziel ist vor allem Lustgewinn oder die Vertiefung einer Liebesbeziehung. Es findet aber keine Analyse statt, es fehlt das Systematische, der Vergleich. Wenn ich Tango lerne oder Kontaktimprovisation, arbeite ich mit einer Vielzahl von Partnern und erarbeite mir mit diesen Erfahrungen langsam eine Technik. Das ist mit Sexualität so nicht möglich. Natürlich wird man einwenden, daß Sex ja nicht nur eine Technik ist, sondern mit Liebe zu tun hat, aber das ist ja beim Tango nicht anders. Die persönliche Chemie spielt immer eine Rolle. Auch Kochen sollte man immer mit Liebe, aber es schadet nichts, ein paar Rezepte zu kennen. Wer SM betreibt, hat Zugang zu den Rezepten, nämlich zu Emotionen wie Angst und Vertrauen, Schmerz und Lust, Kontrolle und Kontrollverlust, Frechheit und Scham. Sex ist Eindringen, Überwältigen, Besitzen, aber auch Öffnen, Hingeben, Loslassen. Und das meine ich ganz unabhängig von weiblichen oder männlichen Rollenklischees. Ich würde sogar behaupten, Sex findet gar nicht zwischen Mann und Frau im genitalen Sinn statt, sondern zwischen den Polen einer männlichen und weiblichen Energie. Mann und Frau als sexuelle Identitäten sind kulturelle Fiktion. Sexuelle Spannung entsteht zwischen den Polen Dominanz und Unterwerfung, zwischen Nehmen und Geben, zwischen Eindringen und Öffnen. Deswegen spielen ja auch Lesben mit Dildos. Sex ist also ein Machtspiel, ein Spiel mit Emotionen, und wenn dies bewußt geschieht wie im SM – der Penis kann durch den Dildo oder die Peitsche ersetzt werden –, macht es das Genitale, und damit die Unterscheidung in Mann und Frau, oft überflüssig. Und da das Genitale im SM oft gar nicht stattfindet, kann halt viel mehr mit verschiedenen Partnern und unterschiedlichen sexuellen Identitäten gespielt werden. SM berührt viele Dinge in uns gleichzeitig, es hat ein riesiges transformatives Potential, und das wiederum hat mit Kunst zu tun.

Wie erfolgte Ihr Zugang zu SM? Anfangs erforschte ich die rein körperliche Ebene: unangenehme körperliche Empfindungen wie Schmerz, Belastung, Behinderung und Einschränkung. Ich merkte sehr schnell, daß schon der Schmerz in sehr verschiedenen Formen auftritt. Es gibt nicht Schmerz an sich. Es gibt schneidenden, drückenden, scharfen, pulsierenden Schmerz und vieles andere mehr. Jeder Schmerz hat andere körperliche und emotionale Wirkungen. Und es gibt viele Arten, damit transformierend umzugehen. Im Zusammenhang mit Sport und Arbeit zum Beispiel wird Schmerz positiv bewertet, er macht zum Helden. Der Kontext beeinflußt dort ganz wesentlich die Wahrnehmung. Es ist ganz schwer, rein körperlichen Schmerz zu erzeugen, weil man schneller Angst vor dem Schmerz produziert und mit Gefühlen wie Demütigung oder Scham konfrontiert ist. Alles, was reiner Schmerz ist, ist im Grunde positiv. Denn man spürt sofort, wenn einem eine körperliche Manipulation widerfährt, die eine echte Gefahr für den Körper bedeutet. Da reagieren wir sofort mit Widerstand, das kontrollieren wir instinktiv. Man fügt sich keinen Schaden zu, schon gar nicht im SM-Spiel. Man dosiert genau, was man will, denn nur dann ist es eine positive Erfahrung.

Welche Auswirkungen hatten diese Erkenntnisse auf Ihre Arbeit? Nachdem ich selbst ein bißchen experimentiert hatte, habe ich die Kompanie mit diesen Techniken bekannt gemacht. Und das war die nächste Überraschung. Für meine Tänzer war all das relativ einfach zu adaptieren, denn sie kannten das Prinzip aus dem Tanz. Man macht dort ständig Dinge, die potentiell gefährlich sind und weh tun, und man sucht einen Weg, daß es gutgeht. Tänzer gehen ja im Training oft in Haltungen, von denen sie zwar wissen, daß sie weh tun, aber auch, daß sie dem Körper nicht schaden, zum Beispiel Yogapositionen, Belastungen durch Gewicht oder extreme Dehnungen. Das ist ein rationaler Vorgang, eine Disziplin: Etwas Unangenehmes zu akzeptieren für eine positive Nachwirkung. Ich forderte die Tänzer einmal als Übung auf, nicht vernünftig zu agieren, sondern zu versuchen, intuitiv zu sein, sich ohne Plan oder Erwartung weh zu tun. Überraschenderweise war das sogar noch effizienter. Der Instinkt leitet einen automatisch dahin, wo der Körper Aufmerksamkeit braucht, wo etwas, was nicht präsent ist, durch Schmerz stimuliert werden will. Wenn ich mich strecke und recke, wenn ich mich kratze oder auf den Lippen kaue, ist das im Grunde nichts anderes. Der nächste Schritt ist, daß man sich nicht selbst etwas antut, sondern einer anderen Person. Und da gibt es das gleiche Ergebnis, sowohl bei der strukturierten Herangehensweise als auch bei der instinktiven: Man vermeidet intuitiv Schädigungen. Sofern man ein normal empathischer Mensch ist, funktionieren diese Sicherungen ganz automatisch; ein Psychopath handelt natürlich anders, aber Psychopathen gehen ja auch nicht reflektiert mit ihren »Monstern« um. So kann man aber beim SM auch das eigene Psychopathische entdecken und, in gewissem Maß, sogar zulassen. Und das fühlt sich dann sehr gut an.

Messiah Game bedeutete dann einen weiteren Schritt vorwärts, oder? Ja. Ich habe mich nach Secret Service näher mit Gefühlszuständen befaßt. Beim SM-Spiel ist es ja so, daß einige Praktiker, die Sadisten und Masochisten, nur mit körperlichen Empfindungen spielen, andere aber zusätzlich oder ausschließlich mit Macht. Da geht es dann mehr um Emotionen, um das Unangenehme, das Böse auf Gefühlsebene: Angst, Wut oder vielleicht Scham. Das wurde Thema von Messiah Game: das Spiel mit Macht. Zur Vorbereitung haben wir mit einer Therapeutin gearbeitet, die unsere Gefühlswelten und die Dynamik in der Gruppe analysiert hat. Das alles war für uns sehr interessant, weil wir gemerkt haben, wie eng das mit der Schauspielerarbeit zusammenhängt. Jede Machtsituation kreiert ein emotionales Verhältnis und damit auch Rollen. Sehr vertraut ist uns das beim Lehrer-Schüler-Verhältnis. Ich habe bei der Arbeit an Messiah Game erkannt, daß Macht deshalb ein so wirkungsvolles Instrument ist, weil es Menschen sehr schnell an ihre Emotionen bringt. Allerdings kommt man bei Tänzern rasch an die emotionale Grenze. Das hat damit zu tun, daß Tänzer es gewohnt sind, Emotionen körperlich auszudrücken. Sie lernen in ihrer Ausbildung, Dinge formal zu tun. Doch jede Bewegung hat auch eine emotionale Ebene. Die ist einfach da. Und durch die andauernde Wiederholung lernen Tänzer eine Kontrolle von Emotionen, sozusagen Bewegung getrennt von der immanenten Emotion zu leisten, sozusagen den Gefühlsausdruck markieren zu können. Ich merkte aber, daß das ein noch umfassenderes Arbeitsfeld ist als die »Schmerzsache«: Emotionen zu verstehen, um damit kreativ zu arbeiten.

Wie erklären Sie sich die bisweilen heftigen Reaktionen auf Messiah Game? Bei Messiah Game hatte ich das Gefühl, daß die Zuschauer emotional nicht bei den Tänzern sind und gar nicht recht spüren, was mit den Tänzern passiert. Im Unterschied zu Secret Service: Da kommen Leute zu uns, mit denen wir letztendlich eine SM-Geschichte machen. Die Menschen nehmen sich aber selbst und die Tänzer lustvoll und spielerisch wahr. In Messiah Game arbeiten wir zwar mit dem gleichen Material, aber wir zeigen, führen auf, was die Zuschauer in Secret Service selbst erleben. Ich hatte gedacht, daß die Zuschauer diesen Sprung mitmachen würden. Aber ich mußte feststellen, daß das Spielen mit Situationen und Bildern von Gewalt bei den Zuschauern enorme Projektionen auslöst. Mancher wollte auf die Bühne springen, um die Tänzer zu retten. Andere waren empört über deren vermeintliche Ausbeutung. Leute, die mit SM zu tun hatten, konnten das Spielerische eindeutig empfinden. Viele andere hingegen waren schockiert, oder es ließ sie völlig kalt. Die Wahrnehmung des Stücks hing stark von den Erfahrungen ab, die der Zuschauer bereits mit seinem eigenen Körper gemacht hatte. Und die gewagte Grundthese des Stücks – Jesus als Machtspieler – und das Spielen mit der Ikonographie lenkte eher noch ab vom Nachempfinden.

Wie nehmen Sie Tanz wahr? Ich erfahre Tanz nicht nur visuell, sondern vielmehr kinetisch. Ich fühle die Energie, kann der Dynamik nachspüren. Das ist vielleicht mein besonderes Talent; ich spüre sehr schnell, wie jemand körperlich strukturiert ist, was seine Bewegungsmuster und Qualitäten sind, wie sich sein momentaner Zustand anfühlt. Das nutze ich beim Tanzen mit anderen und beim Choreographieren. Diese Wahrnehmung ist zum Teil eine Begabung, zum Teil eine erlernte Sensibilität.

In welche Richtung könnte Ihre zukünftige Arbeit gehen? Die Erfahrungen und – ich nenne das jetzt mal wirklich so – Bewußtseinserweiterungen, die die Tänzer und ich gemacht haben, will ich dem Zuschauer zugänglich machen. Wenn man partizipative Formen weiterentwickeln will, kann das nicht allein auf künstlerischer Seite passieren, sondern muß zusammen mit dem Zuschauer stattfinden. Ich denke darüber nach, Performances in direkter Kollaboration mit dem Publikum zu entwickeln. Großangelegte Rollenspiele zum Beispiel wie United Kingdom. Tanz vermittelt sich für mich am besten von Körper zu Körper, direkt, weil es eben, im Unterschied zur Musik, kein Medium zur Speicherung von Tanz gibt. Man kann ja nicht das Gefühl einer Pirouette speichern. Das macht den Tanz auch zum Glück so schwer kommerzialisierbar. Die Zukunft des Tanzes liegt für mich in der Partizipation, dort, wo man die Feinheiten empathischer und physischer Kommunikation trainiert.