Zero Gravity Zone (2012)

Experimental Sociography /Cologne, Dec 2012

 

„Zero Gravity Zone” von Felix Ruckert im Kunsthaus Rhenania

von
NICOLE STRECKER

Felix Ruckert ist so etwas wie der Schmerzlust-Beauftragte des deutschen Tanzes. Wer dem Genre einen Hang zum Sadomaso unterstellte, erfährt bei ihm Bestätigung, und Ruckert kann ganz eindrucksvoll über diese Zusammenhänge reflektieren. Dass der Körper die Pein brauche, lernt man bei ihm. Und dass wir eigentlich nicht für diese Wohlfühlwelt gemacht seien. Derzeit schleicht der Schamane der Schmerzen durch das Kölner Kunsthaus Rhenania. Sanft setzt er die Füße auf, ein Totenkopf mit gekreuzten Knochen ziert seinen Pullover und signalisiert – hoffentlich ironisch – seine toxische Kraft. Denn die unberechenbare Mischung aus lieb und bös gastiert in harmloser Mission in Köln beim Tanz-Festival „Radikal“: Eine „Schwellenerfahrung“ der angenehmen Art darf sein Publikum machen. Nur um die Aufhebung der Schwerkraft soll es gehen in Ruckerts „partizipativer Installation“.

Seit langem schon experimentiert der Berliner Choreograf mit der Grenz-Aufhebung von Publikum und Performer, sprich: interaktivem Theater. Vor 10 Jahren lehrte er mit seinem Erfolgsstück „Secret Service“ das Publikum das Glück des Tanzes. Mit verbundenen Augen erfuhr man als Zuschauer eine Exklusiv-Choreografie am eigenen Leib: Man tanzte blind mit einer unbekannten Anzahl von Performern, wurde geführt, gewirbelt, gelupft – auch schon mal geschubst, was verblüffend viele Zuschauer ganz aufregend fanden. Wo andere Künstler die allgemein angestrebte „Berührung des Zuschauers“ brav psychologisch und intellektuell verstehen, langt Felix Ruckert zu. Und so durfte, wer wollte, schon damals die gleiche Prozedur in Fesseln, entkleidet bis auf die Unterwäsche und mit gesteigertem Gewaltpotenzial absolvieren. Es wollten offenbar viele – jedenfalls genug, dass Felix Ruckert diese Sehnsucht nach erotisch-aggressiver Anmache, die sich das gebildete Tanzpublikum im Kunstkontext plötzlich freimütig gestattete, ins Grübeln brachte.

Lange bevor ein Mommy-Porn wie „Shades of Grey“ als Mega-Bestseller Scharen von quoten-gestärkten und emanzipierten Leserinnen in Erregung versetzt, erkennt Ruckert also Sadomaso als mainstream-tauglichen Trend. 2007 gründet er ein eigenes Produktionszentrum in Berlin: „Schwelle 7“, in dem der Körper von der Tanzkunst über Entspannungstechniken bis eben auch zu BDSM porentief und schamfrei erforscht werden soll. Ein paar Probe-Workshops aus dem umfangreichen Programm hat Felix Ruckert nun nach Köln exportiert. Im Kunsthaus Rhenania hat er eine „Zero Gravity Zone“ eingerichtet, in der das Publikum erfahren darf, was Felix Ruckert & Compagnie unter Schwerelosigkeit verstehen. Drei Verfahren werden angeboten, man muss sich entscheiden: Will man mittels Oberton und Chakren-Stimulation abheben? Durch japanisches Bondage? Oder doch lieber durch „Hängetuch-Yoga“, bei dem man sich in von der Decke hängende bunte Tücher faltet, was sich zwar kuschelig anfühlt, aber auch ein bisschen bizarr an aufgehängte Leichen erinnert. Als Miniworkshop werden Oms, Knoten und Tuchturnübungen dann zweieinhalb Stunden lang von den Performern gelehrt. In einer folgenden „Spielphase“ bleiben die Zuschauer weitgehend sich selbst überlassen, man darf üben oder pausieren und anderen zuschauen, während die Profi-Ommer, -knoter und turner ihre Kunst präsentieren. Eine meditative Improvisation, die aber doch mehr nach Selbstverwirklichung aussieht und bei der Erstphase am Freitag abend nur wenig interessante Momente kreiert. Schlagwerk, Flöte und E-Bass sorgen für entspannte, aber mit klassischen Melodiefetzen auch für gelegentlich überraschende Klangatmosphäre.

Die Festival-Leitung, Choreograf André Jolles, baumelt am Seil und testet fleißig Pirouetten- und Flugvariationen. Amorphe Körper schaukeln in den rosa-beige-blau-grünen Hängetüchern, jeder räkelt sich so vor sich hin. Endlich schält sich aus einem grünen Tuch langsam eine Performerin, bis ihr Oberkörper bäuchlings auf dem Boden liegt, während ihre Füße vom Stoff umwickelt in der Luft hängen – wie die hochschlagende Fischflosse einer Meerjungfrau, und vermutlich ziemlich unbequem, auch wenn die Tänzerin gluckst und kiekst wie ein Baby beim Wickeln. Der Bondage-Experte mit dem klangvollen Namen Amalion von Elffenstein tritt zu ihr und beginnt sie höchst kunstvoll zu fesseln. Ihr Kopf wird weit in den Nacken gezogen, ihre Beine zieren ein Häkelmuster aus verknoteten Seilen, nichts geht mehr. Amalion hat das Menschenpaket gut hingekriegt, es strahlt tatsächlich eine eigentümlich schöne Sinnlichkeit aus – ein Höhepunkt beim sonst ereignislosen Showing. Die Gesichtsfarbe der Performerin vertieft sich, man fürchtet um ihre Gesundheit und hofft, dass sie sich wirklich so wohlfühlt wie ihre anhaltenden Seufzer suggerieren. Denn der unvergleichlich anspruchslosere Selbstversuch wird später zeigen: Es sieht nicht nur schmerzhaft aus. Es ist schmerzhaft. Und schwerelos – so kopfüber am Seil? Eher schon: schwerer Klops. Offenbar ist man selbst eben doch lieber eine von Ruckert so bemitleidete Wohlfühl-Kreatur. So gilt für diese Long-durational Performance: Zuschauen, bringt nichts. Mitmachen – eine Erfahrung. Und sei es nur die, dass man für manches dann doch nicht genug Masochist ist.