INTERVIEW – ICONIST 1/ 22
„Yoga ist eine gute Vorbereitung für SM“
Warum finden Menschen es erregend, sich dominieren zu lassen? Und was ist an Schmerz geil? Felix Ruckert, Gründer des Berliner „Instituts für Körperforschung und Sexualkultur“ hat darauf ein paar sportliche Antworten. Und erzählt, warum BDSM-Erfahrung sogar im Berufsleben hilft.
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Sadomasochismus, kurz SM, wurde noch bis vor kurzem im Katalog von Krankheiten als „Störung der Sexualpräferenz“ geführt. Doch neuerdings gilt fast alles, was beim Sex einvernehmlich geschieht, schlicht als Privatvergnügen. SM heißt inzwischen BDSM, was für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ steht, und immer öfter ist sogar von einem heilsamen Potential des BDSM die Rede. Sexualtherapeuten hören regelmäßig die Frage: Muss ich das nicht mal ausprobieren?
SM, so scheint es, ist von der Perversion zum Mainstreamvergnügen geworden. Eben darum ging es jüngst bei der ICONIST-Veranstaltungs-Reihe Sex Education. Zu Gast war Felix Ruckert, ein Pionier der Berliner sexpositiven Welt. In seinem „Institut für Körperforschung und sexuelle Kultur“ bietet er Workshops zu Sexualpraktiken wie Spanking oder zur Kunst der Unterwerfung an. Auf der Bühne erschien Ruckert, Jahrgang 1959, in Leggings und Plateaustiefeln – und erzählte einem aufgekratzten Publikum und Moderatorin Brenda Strohmaier, warum BDSM eine gute Schule fürs Leben sei.
ICONIST: Früher luden Sie zu sexuellen Experimenten in einen Hinterhof im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Inzwischen betreiben Sie ein Institut mitten in der Stadt, im vierten Stock mit Blick über die Spree auf das Rote Rathaus. Ist die BDSM-Szene in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
Felix Ruckert: Sie wird jedenfalls immer breiter und diverser, es kommen immer mehr Subkulturen hinzu, so dass die BDSM-Welt in der Summe keine Subkultur mehr ist. Es gibt zwar noch die klassische SM-Szene, die sich in den 1980ern entwickelte, aber in den 1990ern ist eine ganz neue sexpositive Welt in Clubs wie dem Kitkat und dem Berghain entstanden. Inzwischen wollen viele junge Leute von den Drogen und den Clubs weg, möchten aber die offene, freie Sexualität weiter ausleben. Zugleich hat sich die Queer-Szene auch verbreitert und verändert.
ICONIST: Warum lassen sich moderne Menschen gerne versklaven oder vermöbeln?
Ruckert: Aus dem gleichen Grund, warum Leute Extremsportarten treiben. Wenn ich Angst habe oder einen Schmerz-Impakt erlebe, fängt mein Körper an, Endorphine und Adrenalin zu produzieren. Das ist ein erprobter, evolutionärer Mechanismus. Er macht uns schmerzresistent, knallwach, und das ist etwas, was wir scheinbar suchen in unserer Wohlstandswelt. Schon mal in der Sauna gewesen? Heiß, kalt, das macht Spaß, auch wenn es erst mal fies ist, in das eisige Becken zu steigen. Der Körper lässt sich eben gern Richtung Schmerz stimulieren. Wer schon mal in einem Yogastudio war und Dehnungsschmerz erlebt hat, ist gut vorbereitet auf SM, viel schlimmer wird’s nicht.
ICONIST: Das mit dem Adrenalin versteh ich. Ich war mal Bungee jumpen, danach fand ich den Menschen, der mich am Seil befestigt hatte, plötzlich heiß.
Ruckert: Genau das meine ich. Diese Verwandlung von Angst zu Lust ist nichts Ungewöhnliches. Eigentlich alle SM-Praktiken zielen darauf ab, in einer kontrollierten Weise negative Emotionen zu erzeugen und sie zur erotisieren, sie in etwas Positives zu verwandeln. Schmerz, Angst, Wut – all diese Gefühle haben im Spiel Platz. Zu dem Schmerz gehört dann auch die Lust, zu der Angst gehört das Vertrauen, zu der Trauer die Fröhlichkeit und so weiter. Das ist das große Verdienst von BDSM. Es hat klare Formate erfunden, wie Dominanz-Submission Spiele oder Schmerz-Lust Szenarien, in denen ganz viel physisch-wohltuendes, emotional-erleuchtendes und intellektuell-stimulierendes Potential steckt.
ICONIST: Hier auf der Bühne saß auch schon eine Therapeutin, die versicherte, dass BDSM sogar heilsam sein kann, und Klienten im Idealfall dadurch schamvolle Erlebnisse aus der Vergangenheit in Selbstbewusst-Starkes verwandeln können.
Ruckert: Ich spreche bei meiner Arbeit niemals von Heilung, ich habe auch keinerlei therapeutische Ausbildung. Ich komme aus der Kunst, bin Tänzer und Choreograph, mir geht es um das Kreative, das Spielerische. Aber natürlich steckt in der Kreativität auch Therapeutisches. Ich selbst zum Beispiel hatte eine kleine Klaustrophobie – bestimmt auch ein Grund, warum ich mich immerzu bewegen wollte und Tänzer wurde. Alles, was mich beschränkte, war angstbesetzt. Dann habe ich das erste Mal Bondage ausprobiert und wurde gefesselt. Einfach nur ein Seil drum, schon lief bei mir ein Film ab: Was tun, wenn die jetzt alle weggehen? Mich einschließen? Die Decke einstürzt? Aber dann passierte: nix. Du atmest durch, und plötzlich entspannt sich in dir etwas fundamental. Das ist das Bondage-Paradox: Du bist fixiert und fühlst dich trotzdem freier.
ICONIST: In Studien ist davon die Rede, dass Praktizierende BDSM als „Coping Strategie“ einsetzen, das heißt als Technik, um im Leben generell besser klarzukommen. Können Sie sich darunter etwas vorstellen?
Ruckert: Ich denke zum Beispiel an einen besonderen Blick für Machtverhältnisse. Im SM lernt man, da mit Humor ranzugehen, weil man so viel mit Dominanz und Unterwerfung spielt, sich Rollen raussucht wie zu Beispiel das kleine Mädchen, das von der großen Schwester übers Knie gelegt werden will. Mir erzählen Leute, dass ihnen das in ihrem Berufsleben hilft, da spielt man ja auch ständig eine Rolle. Oder im Straßenverkehr: Ich kann nur empfehlen, beim Verkehrspolizisten direkt in so eine weiblich-unterwürfige Figur zu gehen. (Schaut demütig zu einem imaginären Polizisten hinauf): „Och, her Wachtmeister, das tut mir aber leid.“ Das appelliert an den Beschützerinstinkt.
ICONIST: Können Sie etwas mit dem Begriff „normaler Sex“ anfangen?
Ruckert: Diese ganze Unterscheidung in normalen Sex und Fetisch ist völliger Quatsch. Nehmen wir diese hohen Schuhe. (Steht auf, stolziert los). Ich würde jedem Mann empfehlen, mal damit länger rumzulaufen, das ist eine Tortur. Aber wenn eine Frau die trägt, gilt das als normal, ebenso, wie sich die Brust aufschneiden zu lassen und da zwei Kissen aus Silikon reinzupacken, um die sexuelle Attraktivität zu erhöhen.
ICONIST: Sie meinen, dagegen ist SM eine Kuschelveranstaltung?
Ruckert: Ist es. Die Klischees über SM sind von den extremen Berichten aus den Medien geprägt, da geht’s meist gleich um schwarze Hauben, Folter, Blut und Ketten. Oder sogar Kannibalismus. Aber neunzig Prozent von dem, was Menschen beim BDSM praktizieren, sind Berührungspraktiken. Bondage ist davon die populärste. Im Grunde geht es vor allem umSelbsterfahrung, Selbstermächtigung und um Frieden.
ICONIST: Frieden?
Ruckert Sexpositive Räume sind ein gesellschaftliches Ventil, ein Ort, wo alle sexuellen Wünsche einfach da sein dürfen. Und wenn alles sein darf, dann entstehen solche Momente von kollektiver Entspanntheit, in denen die Leute glücklich zusammen sind.
ICONIST: Also die einen führen Ersatzkrieg auf dem Fußballfeld, die anderen betreiben BDSM?
Felix: Geht auch beides. Wobei: Fußball ist aus meiner Sicht drastischer als BDSM. Tut weh, ist schmutzig, verursacht öfter üble Verletzungen. Im Ernst: SM gibt’s nur in Ländern, wo es eine relativ lange Periode ohne gewaltsame Auseinandersetzung gab. Zum Beispiel in Europa, Australien, USA. Erst mal herrscht Frieden, danach folgt eine starke Schwulen- und Frauenbewegung, dann SM. In Südamerika, Afrika, Asien sieht’s damit schlecht aus. Da herrscht noch viel mehr Gewalt im Alltag, auch zwischen den Geschlechtern. Insofern ist SM auch Teil einer gesellschaftlichen Befriedung.
ICONIST: Hier in Berlin gilt Fesseln langsam sogar als sexuelle Grundkompetenz…
Felix: Ja, es gibt schon ein Trend bei den jungen Leuten, dass kink angesagt ist und Bondage fashionable. Berlin ist da weltweit ganz vorne, wie gesagt auch bei der Diversifzierung und Erweiterung von BDSM. In den 80ern war es noch so, dass in den SM-Clubs alle schwarz trugen, Vögeln war ein Tabu. Klar, wenn man aus der Normalität rausgeht, müssen erst Mal neue Regeln her. Aber jetzt hat sich das verändert. Du kannst auch in bunten Klamotten zu uns kommen! Und es gibt sogar Neohippies, die BDSM und Spiritualität zusammenbringen.
ICONIST: Löst sich denn auch die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen langsam auf? Oder reproduziert BDSM einfach die bestehenden Verhältnisse?
Ruckert: Tatsächlich war es anfangs so, dass hauptsächlich Männer auf der aktiven Seite waren und Frauen auf der passiven. Das hat damit zu tun, dass es Männern schwerer fällt, Kontrolle abzugeben. Und beim Fesseln gibt es diesen technischen Aspekt, der dem Ausführenden ein Gefühl von Sicherheit schafft. Viele Frauen wiederum nehmen vielleicht anfangs eine passive Rolle ein, weil ihnen das von der Erziehung her leichter fällt. Aber oft merken sowohl die Frauen als auch die Männer schnell, dass es Spaß macht, die Seite zu wechseln. Gerade für Männer ist es eine große Entdeckung, passiv, also auch mal faul sein zu dürfen. Und wenn man einmal anfängt, auch mal eine andere Rolle einzunehmen, dann ist das ein immer weitergehender Prozess, bei dem man neue Persönlichkeitsanteile entdeckt. In jedem Fall werden die Geschlechterklischees durch SM hinterfragt und letztlich spielerisch dekonstruiert.
ICONIST: Muss man aber nicht irgendwann die Dosis steigern, um noch etwas Interessanteres zu erleben?
Ruckert: Das ist auch so ein Klischee. Nein, es findet eine Sensibilisierung statt, und zwar in beide Richtungen. Wenn du mehr über Schmerz erfährst, dann lernst du auch mehr überLust, Zärtlichkeit und über Vertrauen. Das eine gehört zum anderen. Deswegen spricht man auch von Power Exchange: Je mehr ich mich als Untergebene ausliefere, verletzlich mache, desto mehr stimuliere ich zugleich deine Empathie und Verantwortung.
ICONIST: Womit wir beim Consent-Thema wären. Also Consent, Einverständnis ist ja elementar beim BDSM. Gibt’s eigentlich noch die berühmten Code-Wörter?
Ruckert: Natürlich, die wird’s auch immer geben. „Mayday“ etwa ist ein Wort, das man auf der ganzen Welt dazu nutzt, um Außenstehende zu alarmieren. Ein Standard ist auch der Ampelcode, Grün-Gelb-Rot: Grün heißt alles Okay, Gelb ist langsam/nicht stärker und Rot sofortiger Stopp. Immer wieder werden auch nonverbale Zeichen verwendet: Drückt etwa der aktive Part zweimal die Hand, gilt das als Frage: Ist alles okay? Wenn alles okay ist drückt man zweimal zurück, wenn nur einmal zurück gedrückt wird, heißt das Achtung, Grenzbereich, wenn eine Antwort ganz ausbleibt, heißt das sofortiger Abbruch! Oder auch – aus dem Kampfsport übernommen: Zweimaliges Klopfen auf den Boden oder sonstige Oberfläche bedeutet STOP/ Sofort Aufhören!
ICONIST: Ihr bietet auch Einsteigerworkshops im Institut an. Was lernt man da?
Ruckert: Da redet man zum Beispiel eine Stunde über allgemeine Fragen wie wir jetzt. Dann stehen wir auf und machen Kontaktübungen. Da haut der eine den anderen etwa ganz leicht, und der andere sagt immer grün, grün, grün. Dann wird das Hauen dolller und irgendwann kommt statt grün, grün, grün wahrscheinlich gelb und schließlich sogar rot. Du bekommst also ständig ein Feedback deines Partners und dadurch ein Gefühl, wo dessen Schmerzgrenze liegt. Dann machst du das Gleiche mit Zwicken, Kratzen, Beißen. Was dir so einfällt. Und wenn alles gut geht, dann greifst du noch zu irgendwelchen Instrumenten, irgendwann tun dir ja die Hände weh.
ICONIST: Wir haben noch eine Frage aus dem Publikum, die kommen musste. Shades of Gray: Fluch oder Segen für die Szene?
Ruckert: Auf jeden Fall hat der Erfolg der Geschichte gezeigt, dass BDSM kompatibel mit dem Mainstream ist und sogar sehr populär sein kann, wenn man das Thema nur ein bisschen romantisch aufbereitet und es den gängigen Stereotypen entspricht. Da steht eine heteronormative Beziehung zwischen aktivem Mann und passiver Frau im Mittelpunkt, und dann passen da auch Fesselspiele und Hinternversohlen rein. Und natürlich hatte der Mann eine traumatische Kindheit.
ICONIST: Gerade hat sich in New York ein Politiker als Masochist geoutet. Wann tut das bei uns einer, und wer wird es sein?
Felix: Ach. Wir haben ab und zu Leute bei uns im Institut, die in der Politik tätig sind und da überhaupt nicht out sind. Und das wird bestimmt noch länger so bleiben, da bin ich leider pessimistisch. Das Thema ist immer noch zu sehr mit Angst und Scham besetzt. Aber die Zeit arbeitet für uns. Wer einmal die Befreiung von sexueller Scham und Angst erlebt hat, wird nie wieder zurückwollen. Ich bin sicher, dass die Gesellschaft BDSM in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren als sexuelle Neigung akzeptiert.
Kurzbio:
Felix Ruckert, Jahrgang 1959, ist Tänzer und Choreograph und in der sexpositiven Szene eine Legende. Bis 2016 betrieb er in Berlin-Wedding die Schwelle 7, ein Paradies für kreative Sexualität. 2020 eröffnete er dafür das Institut für „Körperforschung und sexuelle Kultur“, kurz IKSK. Seit 2004 veranstaltet er das Festival Xplore, bei dem die Teilnehmer*innen sich in jeglicher Hinsicht sexuell ausprobieren können.